Das Volkstheater und sein Publikum
vor 1900




Bereits im 17. und 18. Jahrhundert sorgten reisende deutsche und ausländische Theatertruppen für das sehr vergnügungssüchtige Dresdner Publikum in den verschiedenen Gebäuden der Hoftheater, in Schlössern in Dresden und Pillnitz und vielen anderen Spielstätten (z. B. Belvedere im Brühlschen Garten, Altes Gewandhaus am Neumarkt, Zinzendorffscher Gartensaal, Theater im Linckeschen Bad) für volkstümliche Unterhaltung in deutscher Sprache. 1743 führten Brünner Komödianten im Gewandhaus erstmals Vaudevilles und kleine Operetten auf. Die bunte Vielfalt der Unterhaltungskultur jener Jahre ist ein sehr weites Feld und nicht Forschungsgegenstand dieses Archivs, welches der Aufarbeitung der Historie der fest in der Stadt etablierten bürgerlichen Profitheater und Vergnügungsstätten nach 1813 gewidmet ist.

Nach den Schrecknissen der Napoleonischen Kriege und der nachfolgenden russischen und preussischen Besetzung verlangten die Dresdner nicht nur nach demokratischen Reformen, sondern auch nach moderner Bildung, Infrastruktur und Kultur für das aufstrebende Bürgertum. Schon 1813 vereinigte der russische Gouverneur Repnin die Institutionen des Hoftheaters - königliche Kapelle, das deutsche Schau-und Singspiel und die italienische Oper - unter einer Generalintendanz. Bis zu den revolutionären Ereignissen 1830 werden u.a. die Medizinische Akademie, die Polytechnische Bildungsanstalt, der "Dresdner Anzeiger" und die Sparkasse gegründet. Die wachsende Bevölkerungszahl zwingt zu weiteren Strukturveränderungen und Modernisierungen. Die Niederlegung der Dresdner Festungsmauern, die Einführung einer Verfassung für das Königreich Sachsen, die Festlegung von Stadtbezirken in der Landeshauptstadt und technische Neuerungen wie der Eisenbahnbau, Gasbeleuchtung der Straßen und Plätze und die Eröffnung von Pferdeomnibuslinien in Dresden sind nur einige Marksteine der damaligen rasanten Entwicklung bis zur Revolution von 1849. Nach den blutigen Maitagen jenes Jahres triumphierte jedoch die Reaktion.

Zutiefst verunsichert und bedrängt durch die Repressalien der monarchistischen Restauration beschäftigte sich das Bürgertum von nun an vor allem mit der Organisation seines wirtschaftlichen Erfolges und suchte Zerstreuung und Vergnügen bei den Darbietungen des Hoftheaters und einiger bürgerlicher Privattheater.
Viele kurzlebige Unternehmen wurden in der Hoffnung auf reichen Gewinn durch "Theater-Aktien" von Gasthofsbesitzern, Handwerkern und Kaufleuten ins Leben gerufen. Sie boten Possen, Schwänke und Singspiele auf meist bescheidenem Niveau. Es gab aber auch künstlerisch ernstzunehmende, gut ausgestattete und fortschrittliche Theatergründungen, die bald zur bedrohlichen wirtschaftlichen und geistigen Konkurrenz für die privilegierte und angestaubte Hoftheaterkultur heranwuchsen.
Die vorgeschriebenen Konzessionen der Königlichen Amtshauptmannschaft beschränkten das Repertoire der Privattheater auf Schwänke, Possen mit Gesang und Operetten. Die eingereichten Stücke wurden von der Zensurbehörde misstrauisch überwacht. Jahrmarktscharakter, Sensationshascherei und humoristische und gewisse erotische Freizügigkeiten solcher Vorstellungen faszinierten die Dresdner jedoch ebenso wie die sittsamen und künstlerisch hochstehenden Darbietungen in den Hoftheatern, denen die hehre Dramen- und Opernkunst vorbehalten blieb. Lauter Jubel oder gar Missfallensäußerungen wurden allerdings dort von der Polizei im Zuschauerraum sofort geahndet (siehe Polizeiverordnung vom 20. April 1854, Dresdner Anzeiger 22.04.1854), während im Volkstheater mit seinen oft tagesaktuellen Texten Beifall und Zwischenrufe beste Stimmung garantiert war.


Bürgerliche Kulturvereinigungen nach 1830



Zum Zweck der gehobenen Bildung und Unterhaltung schlossen sich Bürger zu Musik- und Theatervereinen zusammen und brachten selbst klassische Schauspiele und Musikstücke zur Aufführung. So entwickelte sich neben den bürgerlichen Profi-Theatern auch das ganz besonders kundige und kritische Dresdner Publikum, dessen Begeisterung immer schon gleichermaßen dem Schwank und der Wagner-Oper, dem Zirkus und dem Sinfoniekonzert galt.

Das erste Laientheater in Dresden war das Societaets-Theater, welches zur Gründung 1776 aus 15 Adligen und Bürgern bestand. Es existierte bis 1832 und wurde 1999 als städtisches Theater wiederbelebt.

Vereine im Dresdner Adressbuch von 1835 (Slub)

Theatervereine im Dresdner Adressbuch von 1850 (Slub)



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Das Volkstheater von Johann Joseph Magnus




Gasthofbühnen und Aktientheater



Weitere Freilicht- und Saaltheater bis zur Jahrhundertwende (in Bearbeitung)




Das Tivoli-Theater im Reisewitzer Garten



Im Vorort Plauen begann 1844 die Geschichte des kommerziellen bürgerlichen Volkstheaters in Dresden.
Am Endpunkt einer der 1838 neu eingeführten Pferdebuslinien ins Umland der Residenzstadt ließ der geschäftstüchtige Gutsbesitzer Bunke zur Belebung seiner Gastronomie ein Sommertheater errichten. Dort spielten fortan professionelle Theatertruppen alljährlich von Mai bis Oktober Gesangspossen, Schwänke, Operetten und sogar Opern.
Geschäftstüchtige Wirte organisierten riesige Volksfeste rund um die Theaterspektakel.
Die Dresdner strömten in Scharen nach Reisewitz, was sofort zur ernsthaften Konkurrenz für die Sommerbespielung des Hoftheaters auf seiner Sommerbühne im Linckeschen Bad wurde. An der Weißeritz in Löbtau/Plauen tat man die ersten Schritte auf dem Weg zu einem bürgerlichen Stadttheater für Dresden. Eine Aufführung von Webers "Freischütz" und Gastspiele von Bühnenstars wie Josef Christl, Josef Böhm und Marie Geistinger waren Höhepunkte in der Geschichte des "Tivolis auf Reisewitz".





Höhepunkte aus der künstlerischen Chronik des Theaters auf Reisewitz



Das Sommertheater im Linckeschen Bad



Die ausgewählten Termine aus der Saison 1850 zeigen das Bemühen der Hoftheaterintendanz, der Konkurrenz durch die aufkommenden bürgerlichen Sommerbühnen etwas entgegen zu setzen. Auch in den Hoftheatern im Stadtzentrum waren Komödien und Possen mit Gesang nunmehr salonfähig, weil Kassen füllend.
Der umjubelte Schauspieler, Sänger und Stückeschreiber Nesmüller wurde wenige Jahre später mit zwei eigenen festen Theatern in Dresden zum erfolgreichsten Konkurrenten der Hofbühnen.






Josef Ferdinand Nesmüller



Das österreichische Multi-Talent Josef Ferdinand Nesmüller kann mit Fug und Recht als Vater des modernen bürgerlichen Volkstheaters in Dresden bezeichnet werden. Mit dem hohen Anspruch einer Symbiose von Bildungs- und Unterhaltungstheater für alle Stände begründete er eine Tradition, die bis heute in der "Staatsoperette Dresden" und den privaten Theatern der Stadt weiterlebt. Seine legendären Gestaltungen der großen komischen Rollen der klassischen Operette, die Führung des Ensembles seines "Zweiten Theaters" zu hoher professioneller Qualität und die höchst erfolgreichen erstmaligen Interpretationen der Werke Offenbachs und Suppés in Dresden machen ihn zu einem Großen der Theatergeschichte dieser Stadt. Bedeutend auch seine Fähigkeiten in Bezug auf die Repertoiregestaltung - neben seinen vielen eigenen Stücken und den gängigen Possen und Schwänken aus Wien und Berlin bereichern Werke von Shakespeare, Schiller und Gogol den Spielplan. Immer sucht Nesmüller nach neuen Ausdrucksmitteln und dem Weg zu einer fesselnden realistisch-dramatischen Bühnendarstellung, die sich von der Hoftheater-Konvention unterscheidet. So lässt er Volkstypen mit den Händen in den Taschen agieren und Dialekt sprechen und vergibt die Rolle des Prinzen Hamlet an eine Frau. So viel Gespür er für die Bühne hatte, so sehr mangelte es ihm nach den Umbrüchen von 1871 im Hinblick auf das Geschäft und die Zeichen der Zeit. Aber der Schatten des unrühmlichen Endes seines Dresdner Theaters wird überstrahlt vom jahrzehntelangen Wirken eines großartigen, innovativen Künstlers.




Das Volkstheater im Varieté "Viktoriasalon"




Das Apollo-Theater in der Görlitzer Straße



Galerie - Dresden vor 1900

Dresden gegen Nord 1840
Belvedere 1840
Böhmischer Bahnhof 1870
Eingang zur Prager Straße
Albertplatz 1900